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Der Augenblick. Gesammelte Werke und Tagebücher. 34. Abt. Bd. 24
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Die sich seit dem Jahre 1846 immer mehr verschärfende Kritik Kierkegaards an der Verwässerung und Verfälschung des Christentumsverständnisses in Kirche und "Christenheit" seiner Zeit - theologisch tief und umfassend begründet in den Schriften "Die Krankheit zum Tode" 1849, "Einübung im Christentum" 1850 und "Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen" 1851 (24., 26. und 28. Abteilung der "Gesammelten Werke") - entlud sich nach langem inneren Ringen vom Dezember 1854 ab in einer Reihe von Zeitungsartikeln und seit Mai 1855 in der Flugschriftenreihe "Der Augenblick". Sie sind der Inhalt dieses Bandes. - Die Flugschriften enthalten "an religiös begründeter Polemik und Satire wider Christenheit und Kirche das Schärfste und Geistreichste, das im 19. Jahrhundert gesagt worden ist. Das Losungswort des Angriffs lautet: Das Christentum des Neuen Testaments ist nicht mehr da", mit der "Folgerung, daß Christenheit und Kirche eine arglistige und verlogene Art von Abschaffung des Christentums sind" (E. Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie Bd. 5, Gütersloh 1954 S.443, letzte Neuausgabe E. Hirsch, Gesammelte Werke Bd.9, Waltrop 2000). Den letzten Anstoß zu diesem Angriff gab Professor Martensen mit seiner Gedächtnisrede auf den hochangesehenen Bischof Mynster, der die dänische Kirche viele Jahre eindrucksvoll repräsentiert, aber auch mit taktisch geschickten Kompromissen durch die Wirren der Zeit gesteuert hatte, Martensen feierte ihn nun als einen von den "echten Wahrheitszeugen" und legte damit eine Gleichstellung mit den Märtyrern des Christentums der ersten Jahrhunderte nahe, die ihr Zeugnis für die Wahrheit des Evangeliums mit ihrem Blut besiegelt hatten. Da fühlte Kierkegaard sich in seinem Gewissen zum Protest genötigt: "Eine Kirche, die sich in dieser Welt eingerichtet hat, deren Oberhaupt Ritter des Danebrog und eine politische Macht ist, kann sich auf den Jesus des neuen Testaments, der als das Zeichen des Ärgernisses den Gläubigen mit der Welt entzweit und ihn zum Einzelnen vor Gott macht, nicht berufen. Statt in der Gleichzeitigkeit mit dem Erniedrigten lebt diese Kirche in dem Sinnentrug, daß es für sie ein unmittelbares Verhältnis zum erhöhten Herrn gebe und daß sich dies auch in weltlichem Ansehen verwirkliche." (H. Gerdes in der Einleitung dieses Bandes) - Die von Kierkegaard in seinen Flugschriften und Artikeln formulierte Kritik ist in manchen Stücken treffend und notwendig, besonders, wenn sie scheinchristliche Selbstzufriedenheit und Selbstbeweihräucherung, die Hohlheit des dazu dienenden christlichen Jargons und den Mißbrauch christlicher Gedanken und kirchlicher Ämter für weltliche Zwecke, der leider immer wieder vorkommt, in geistreicher Polemik sehr eindrucksvoll an den Pranger stellt und als Verfälschung des Christentums kennzeichnet. Doch zeigt sich gleichzeitig, daß die geistigen Kämpfe dieser Jahre in seiner Darstellung des Christentums mehr und mehr zu einer Radikalisierung und Verdüsterung des Bildes geführt haben, die gleichfalls eine Verfälschung des Christentums bedeuten. Besonders auffällige Beispiele sind die Ablehnung der christlichen Ehe und der Kindertaufe, die Entstellung des christlichen Denkens ist hier um so krasser, weil er, der jede Kritik an dem uns überlieferten Bibeltext radikal ablehnt, sich hier zum Neuen Testament in Widerspruch setzt. Sehr schwerwiegend ist ebenso die Entstellung der Rechtfertigungslehre, die Art, wie er die "christliche Forderung" an unsere Lebensführung geltend macht, ist trotz gegenläufigen Lippenbekenntnissen oft ein Rückfall in gesetzliches Denken, bei richtigem Verständnis bedeutet die Rechtfertigung durch den Glauben eine Wandlung derart, daß das wahrhaft Gute uns innerlich ergreift, daß es uns nicht als Forderung gegenübertritt, sondern aus eigenem Antrieb gesucht und erstrebt wird. Schließlich formuliert er seine Kritik an der heutigen Kirche und Christenheit meist als Pauschalurteile über "die" Pfarrer und "die" heutigen Christen, dabei kann er gar nicht wissen, auf wie viele Pfarrer und Gemeindeglieder seine Vorwürfe tatsächlich zutreffen. So ist sein religiöser Kampf zwar in seinem Gedankenreichtum und seiner Leidenschaft ein hochbedeutender Anstoß zur tieferen Erfassung des Christentums und gegen dessen Verflachung und Verweltlichung, darf aber nicht als reine Verkündigung der christlichen Wahrheit angenommen werden.
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