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Die Erlkönigin
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Das Mondlicht glänzt auf der Großmutter weißem Scheitel. Droben in den Lindenzweigen duftet's und blüht's, surrt's und summt's, und streift die Blumensterne herab auf die lauschenden Blondköpfchen. Großmütterchen aber erzählt:
»Es war einmal ein Königssohn, der wußte nicht, was die Liebe war. Er lehnte an dem Marmorfenster seines Nordlandschlosses und blickte hinaus in die tanzenden Schneeflocken und fragte sie um Rat, aber die schüttelten die weißen Gesichtchen und stoben davon. Darauf blickte er empor zu den Wolken, die mit mächtigen Flügeln über die Schloßtürme flogen, seufzte tief auf und rief: ¿Ihr Kinder des Sturmwinds, wißt ihr vielleicht, wo ich die Liebe finde?¿ Aber die Wolken waren düster und stumm, und zogen in wilder Hast zu ihrem Mutterhaus, dem klüftigen Gebirg, dessen Scheitel die Pfosten des Himmels trägt. ¿Ich weiß, wo die Liebe ist!¿ sagte ein schüchterner Sonnenstrahl, sich durch das Gewölk stehlend, ¿hier oben ist es zu kalt und einsam, hier wohnt nur die Melancholie mit ihren thränenfeuchten Wangen, und der Sturm entblättert die Rose, ehe sich ihr voller Kelch erschloß, die Liebe aber will Glut und Blüten, die Liebe will Licht und Zauberpracht. Komm! Folge mir zur Wiege der Poesie, atme den Duft der flüsternden
Musenhaine, bekränze Dein Haupt mit ihrem Lorbeer, und küsse die Lippen, deren Seele ein Lied glühendsten Empfindens ist, blicke empor zu dem leuchtenden Himmelsdom, versinke in dem Auge, dessen Rätselnacht das Geheimnis des Glückes birgt, und Du hast die Liebe gefunden, die Liebe im Glanze des Lichts!¿ Da faßte Sehnsucht das Herz des nordischen Prinzen, er stürmte davon durch Schnee und Eis, und wanderte ohne Rast und Ruh, bis er das Land der Sonne fand! Aber die Glut blendete sein Auge, der Blütenduft betäubte ihn, und der Klang der Mandoline trieb ihm Thränen unverstandenen Wehes in die Augen, der Himmel blitzte und funkelte wie ein stolzes Auge, das kein Mitleid kennt, und die Lippen mit ihrem Hauch der Leidenschaft vergifteten sein Herzblut, wähnte er. Da lag er inmitten der paradiesischen Pracht, unter blühendem Gezweig und jubelnder Vogelschar wie ein Verschmachtender, welcher die Hände gegen die Brust preßt und seufzt: ¿nur einen Hauch der frischen Nordlandsluft!¿ Heimweh quälte ihn und trieb ihn aus dem Land des Glückes, in welchem er vergeblich nach Liebe gesucht! Da brauste von neuem der Sturm der Heimat um des Jünglings aufatmende Brust, da schäumte und donnerte das Meer um die einsamen Klippen, und dennoch sproßte an den Zweigen das erste teure Eichengrün! Aufjubelnd schlang der Königssohn die Arme um den deutschen Baum und breitete sich nach dem mächtigen Turmbau seines Vaterhauses aus, und wie er dann vorwärtsstürmend die knospenden Zweige auseinander biegt, da steht er plötzlich wie gebannt vor der schlanken Maid, welche ihm lautlosen Schrittes entgegentritt. Von ihrem Scheitel fließt eitel Sonnengold, ihr weißer Nacken leuchtet wie die Myrthenblüte des Südens und in den Augen strahlte ein tiefblauer Himmel lächelnder Unschuld. Der Königssohn aber fühlt es wie einen Schauer süßer Andacht durch seine Seele wehen, und wie er klopfenden Herzens näher tritt, tief und glückselig in dieses treue Auge schaut, da jubelt er voll wonnigen Entzückens: ¿Ja, das bist Du, o Liebe!¿
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