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Erster Traum
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»Lateinamerikas Shakespeare«, »Phönix von Mexiko«, »Zehnte Muse« - kaum ein Ruhmestitel, der Sor Juana Inés de la Cruz (1648-1695) noch nicht verliehen wurde. Die Dichterin, Nonne und Universalgelehrte, die sich am Hof der mexikanischen Vizekönige genauso selbstverständlich bewegte wie zwischen den Theologen und Gelehrten ihrer Zeit, gilt nicht nur als Amerikas erste Feministin, sondern auch als Schlüsselfigur der lateinamerikanischen Dichtung: Mit ihrer überbordenden Einbildungskraft prägte sie den Stil eines differentiellen, tropischen Barock, der im 20. Jahrhundert als einer der großartigen Ursprünge einer eigenständigen lateinamerikanischen Literatur wiederentdeckt wurde.
In Sor Juanas dichterischem und philosophischem Hauptwerk, das nun in einer beeindruckenden Neuübersetzung vorliegt, kommt eine Traumreise der Seele zur Aufführung: eine universelle Mechanik des Traums, in der sich dennoch eine radikal subjektive Stimme behauptet, eine ständige Überschreitung der Grenzen zwischen Heiligem und Profanem, ein Hinterfragen tradierter Geschlechterrollen. Zwei Jahrhunderte vor Sigmund Freud eröffnet sich hier ein Denken des Traums, in dem sich die Wünsche des Tages, die Phantasmagorien der Nacht, die Zuckungen des Körpers und das Kreisen der Planeten zu einem einzigartigen Text verweben.
»Der« Erste Traum »steht einzigartig da in der spanischen Poesie, nicht weil er eine - schon zu ihrer Zeit anachronistische - Darstellung der Lebensfunktionen oder des Systems der Welt gibt, sondern weil er die Dichtung vom Abenteuer der Erkenntnis ist.«
Octavio Paz
»Von Sor Juanas differentiellem Barock sei nur gesagt, dass sie auf dem Höhepunkt ihres Schaffens, im Ersten Traum nicht etwa Góngora antwortet, sondern der deutschen Romantik und dem surrealistischen Onirismus, die sie in einem Wurf antizipierte.«
Haroldo de Campos
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