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Leseprobe, Romananfang:
Sibylle erwachte.
Es war still im Zimmer und nächtlich dunkel. Sekunden, Ewigkeiten lag sie da. Etwas drängte in ihr Bewusstsein. Sie wehrte sich vergebens. Heftig kehrte die Erinnerung zurück, sein Gesicht mit den listigen Augen und dem Spottmund, wie es auf sie zukam.
Vor Schreck setzte sie sich auf.
Ihr Herz pochte laut.
Wieso war sie nur an diese Besprechung gegangen?
Von ihrem Londonjahr hatte sie ihm erzählt. Auch dass sie sich über ihre Seminararbeit unterhielten, wusste sie noch, und dass sie über die Stellen sprachen, bei denen sie unsicher war. Er sagte, sie sei zu bescheiden, machte ihr Komplimente, zuerst über die Arbeit, dann über ihr Aussehen. Unpassend, fand sie, unangenehm, und wies sie zurück. Er reagierte spöttisch und kam, statt sich zurückzunehmen, frech näher. Sie, beleidigt, empört, stammelte, und bevor sie Worte fand, rutschte er in einem Satz mit dem Stuhl ... Nein.
Stopp!
Was half es, wenn sie aber- und abermals alles durchspielte? Immerhin hatte sie sich gewehrt. Nur war das kein Trost. Sie begriff erst, worauf das Ganze hinauslief, als die Falle zugeschnappt war. Ja, er hatte sie hereingelegt. Sie war auf ihn hereingefallen. Er bat sie nicht wegen eines Semesterjobs in sein Büro. Er köderte sie mit diesem Angebot, um sich ihr zu nähern.
Seltsam, dachte Sibylle, sie hatten in seinem Seminar über Vertrauen gesprochen. Was hatte er darüber gesagt?
Sie knipste die Nachttischlampe an und sprang aus dem Bett. Der Wecker zeigte kurz vor fünf. Es war warm, sehr warm, seit Tagen auch in der Nacht. In der mittleren ... ...
Leseprobe aus dem 2. von insgesamt 10 Kapiteln:
Scham schoss Großholz in den Kopf. Er bekämpfte und überwand sie. Nein, er hatte nichts mit diesem Brief zu tun. Nichts. Frech genug, so etwas zu schreiben, noch frecher, es an Knoll, seinen Vorgesetzten zu schicken. Was hatte er gelesen? Etwas über ... wie Professor Großholz ... mit Frauen ... Lächerlich, nichts als lächerlich. Er schwang sich aus dem Sessel, trat hinter dem Schreibtisch hervor und räumte die Bescherung auf.
Mit so etwas wollte er sich nicht beschäftigten. Ganz gewiss nicht. Er rückte die Stühle am Sitzungstisch zurecht. Alles i. O.? Ja. Zurück an die Arbeit!
Am Computer vertiefte er sich wieder in die Umfragedaten über die Zwanzig- bis Dreißigjährigen. Versuchsweise schaute er sich die Antworten von männlichen und weiblichen Probanden getrennt an. Bald zeigten sich verheißungsvolle Unterschiede. Rasch verfolgte er die Spur weiter. In der Tat, Lilo hatte kein schlechtes Näschen besessen mit ihrer These. Schon kurz nach zwanzig, vielleicht mit zwei- oder dreiundzwanzig, schien sich zwischen den Geschlechtern eine Schere zu öffnen.
Einhaken. Schnell einhaken! Er nahm seine Unterlagen und einen Notizblock und machte es sich am Sitzungstisch bequem.
Die verschiedenen Lebensbereiche, über die sich die jungen Erwachsenen geäußert hatten, konnte er dem Fragebogen entnehmen. Danach würde er mit Hilfe des Computers die zwölf oder vielleicht fünfzehn Bereiche herausfiltern, die ihnen am meisten bedeuteten. Hatte er die, ließ sich in einem zweiten Schritt leicht zeigen, ob die jungen Frauen und Männer Gleiches oder Ungleiches wichtig fanden und anstrebten.
Er schlug den Fragebogen auf. Unsortiert schrieb er die Lebensbereiche heraus.
Plötzlich klopfte es. Wohl nicht schon wieder Knoll, dachte er, als erneut jemand die Tür öffnete, ohne sein Herein abzuwarten. Er heftete den Blick auf den Schreibblock, als sei niemand eingetreten. Vor ihm nahm die Liste mit den Interessensbereichen der Zwanzig- bis Dreißigjährigen Gestalt an. Ausbildung, Beruf/Arbeit, Familie, Freunde ...
Knoll kam zum Tisch. Schwieg. Nach einer Weile setzte er sich zwei Stühle entfernt hin. Großholz kam sich wie in einem Traum vor. Er träumte, er sitze mit Knoll in seinem Büro am Sitzungstisch. Knoll, sonst nie um eine Antwort verlegen, wusste nicht, was auf einen Brief antworten. Deshalb brauchte er seinen Rat. Wortlos reichte Knoll ihm zwei Papiere mit kopierten zusammengeklebten Fetzen. Großholz griff mechanisch nach den Kopien und schob seine Arbeit zur Seite.
Die Blätter stammten von einer Anwaltskanzlei. Sehr geehrter Herr Professor Knoll ...
Knoll war angesprochen. Es ging nicht um ihn. Er war Karl Großholz und nicht Knoll. Die Blätter hatten nichts mit ihm zu tun. Er las sie im Traum. Für Knoll. Mit Knolls Augen flog er über die Zeilen. Sie sind der Direktor des Instituts für Sozial- und Technikforschung. Deshalb wende ich mich an Sie. Ist Ihnen bekannt, wie Professor Großholz ...
Es störte ihn, Professor Großholz zu lesen. Mit dem, von dem hier gesprochen wurde, war ein anderer als er gemeint. Er schaute zu Knoll. Der hatte das Original mit den geklebten Fetzen vor sich. Von wem, glaubte Knoll, sei hier die Rede?
Schnell, wie eine bittere Medizin, die zu schlucken ihn jemand zwang, las er: Immer mehr Studentinnen ... ... Einzelne fürchten sich sogar ... ... ... auf dieses interessante Gebiet ... ... ...
Seine Augen flimmerten. ... ... missbraucht seine Macht ... ... missbraucht ...
Die Worte jagten sich in seinem Kopf. Nein, damit hatte er nichts zu tun, das ging ihn nichts an. Er sprang auf die zweite Seite, flog über die Sätze. ... ... einen Schlussstrich ... ... für alle ... ... Ja, genau. Er schob die beiden Papiere zu Knoll zurück, der starr vor sich hinblickte. Wieso war Knoll hier? Wie lange wollte er noch ... ...
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