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Passio und Bild
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Die volkssprachliche Lyrik Italiens entsteht zu einer Zeit, als sich, in Sizilien am Hof des Stauferkaisers Friedrich II. und im Patriziat der toskanischen Städte, ein neuer Stand von gebildeten Laien ausformt. Die gelehrte Kultur entwirft mit der Dichtung einen eigenständigen Wissens- und Erfahrungsbereich. In die Poesie gehen Theoreme und Verfahren aus scholastischer Theologie, averroistisch geprägter Philosophie und Rhetorik sowie Formen christlicher Andachtspraxis und affektiver Frömmigkeit ein. Gegenstand der dichterischen Reflexion ist die Liebe als geistig-spirituelle Kraft, die Bildvorstellungen erzeugt, sich begrifflicher Aneignung entzieht und daher eine besondere Findungskunst initiiert. Die logisch-dialektische Struktur von Sonetten und Kanzonen bildet das Gerüst für ein Phänomen, das dem direkten Zugriff der ratio nicht zugänglich ist, figurative Sprache veranschaulicht die Ambiguität einer inneren Bewegung, die zwischen religiöser Schau und wahnhaftem Phantasma oszilliert. Bildfiguren, die den Texten eingeschrieben sind, reflektieren die Wertigkeit der Prozesse, die sich bei der Lektüre vollziehen. In der Transformation von Modellen christlicher Spiritualität und philosophischer Erkenntnis bildet sich der spezifische Raum vormoderner Dichtung aus.
Das vorliegende Buch zeichnet die Erschließung einer neuen Dimension menschlicher Geistigkeit in der mittelalterlichen Lyrik, bei Guittone d'Arezzo, Giacomo da Lentini, Cavalcanti, Guinizzelli und Dante nach. Es verfolgt deren kritische Durchsetzungskraft bei Petrarca, im Florentiner Neuplatonismus bis hin zu Giordano Bruno. Verdeutlicht wird der hohe theoretische Anspruch, mit dem sich die Dichtung in zeitgenössischen Wissenshorizonten situiert. In der textimmanenten Spiegelung ihrer Rezeption tritt eine frühe Konzeptualisierung ästhetischer Erfahrung hervor.
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