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Polyphone Räume und karnevalisiertes Erbe

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Thomas Bernhard ist möglicherweise der umstrittenste Autor der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine kunstvollen Textkompositionen haben ihn zwar längst zum Klassiker avancieren lassen, aber wie sein Werk gedeutet und bewertet werden soll, spaltet nach wie vor die Geister. Die Literaturwissenschaft außerhalb Deutschlands interessiert sich immer mehr für das Komische seiner Texte, die innerhalb Deutschlands zunehmend für das Spiel mit literarischen oder philosophischen Diskursen. Die vorliegende Arbeit versucht, beide Fragestellungen zu verbinden. Sie verfolgt mit Hilfe der Roman- und Karnevals-theoreme des russischen Literaturwissenschaftlers Michail M. Bachtin das Ziel, die polemisch-karnevaleske Dialogizität zwischen Bernhards Werk und seinem literarisch-philosophischen Erbe herauszustellen. Bachtins Chronotopos-Theorem hebt auf künstlerisch erfaßte Zeit- und Raumbeziehungen ab, Einheiten, die es erlauben, die Aufenthalts- und Herkunftsorte von Bernhards Helden als Diskursräume zu vermessen und auf ihre Vielstimmigkeit hin zu untersuchen. Die beiden Chronotopoi von Marktplatz und Museum - der eine Sphäre folkloristischer und tabu-freier Rede, das andere Kanon einer elitären Bildungsästhetik - begegnen sich als konträre Kunstauffassungen. Ihr Aufeinandertreffen macht die Grundspannung von Bernhards Werk aus, in der sich autoritäre bzw. monologische Einflußnahmen und Strukturen immer wieder zersetzen. Die Chronotopoi von Natur, Architekturen und Bühne (Öffentlichkeit) können auf drei Werkphasen Bernhards bezogen werden: Die Natur ist durch verwirrende Standpunktevielfalt gekennzeichnet, gespeist durch die Prätexte von Novalis, Stifter, Schopenhauer und Pascal sowie durch lyrisch-fragmentarisches Sprechen. Die Architekturen sind Sinnbilder für Rückzug und Isolation oder für die systematischen Ordnungsversuche der Helden mit den biographischen Zügen Ludwig Wittgensteins. Die Bühne schließlich entspricht der Theatralisierung von Welt und Ich im letzten Werkabschnitt, die im Rekurs auf Shakespeare, Diderot und Montaigne als multiple Schauspiele ausgewiesen werden. Mit Bachtins Theoremen kann nicht nur gezeigt werden, wie ein bestimmter Prätext (oder ein Gattungsschema) den jeweils analysierten Text strukturiert und selbst durch die Aufnahme gesteigert, profaniert oder anderweitig verändert wird, sondern wie verschiedene Prätexte oder Schemata innerhalb eines Chronotopos gegeneinander gesetzt sind, sich stören, unterstützen oder nivellieren. Der Reiz von Bernhards Texten besteht also wesentlich in der Verschmelzung von Gattungsintentionen, Fiktionen, Philosophemen sowie offiziellen und folkloristischen Redeweisen, die allesamt, auf eine Stufe gestellt, ihrer ursprünglichen Integrität beraubt werden. Aus dieser Subversion erklärt sich das Komische der Schriften Bernhards, die er selbst als "Lachprogramm" verstanden wissen wollte.
Libri-Titel folgt in ca. 2 Arbeitstagen

Preis

70,00 CHF

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