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Widersprüchliche Wahrheiten
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Eine so persönliche und emotionale Angelegenheit wie der Musikgeschmack ist für sachliche Argumente schlicht und einfach nicht zugänglich. Demnach wäre es nur konsequent, wenn wir Differenzen in Geschmacksfragen gelassen begegnen würden, nach dem Motto: "Geschmäcke sind nun mal verschieden." Doch das tun wir nicht. Das können wir nicht. Stattdessen verteidigen wir unseren Geschmack heftig und entschlossen. Mehr noch: Wir dulden keinen anderen Geschmack neben unserem und bekämpfen ihn. Wie ich im eingangs beschriebenen Beispiel selbst erfahren musste, sind Popmusikhörer in Streitgesprächen nicht kooperativ, sondern voll und ganz konfrontativ. Ab einem gewissen Punkt wandelt sich die Absicht, die Geschmacksgräben zwischen ihnen zu überwinden, in den Drang, sie immer tiefer zu graben und die Brücke zwischen den Uferseiten zu zerstören.
Warum tun wir uns das immer wieder an? Die Antwort ist einfach: Weil wir nicht anders können. Der Geschmack ist in seinem Charakter zwar ein Werturteil, für uns aber besitzt er den Rang eines Sachurteils, eines unumstößlichen Faktums.
Wir sind von unserem Geschmack überzeugt. Die Schwere dieser Überzeugung ist vergleichbar mit der von Anhängern der monotheistischen Religionen. Unseren Geschmack empfinden wir als unfehlbar. Deshalb kann über ihn auch nicht demokratisch abgestimmt werden. Der Geschmack ist keinen Kompromissen zugänglich und nicht verhandelbar. Das ist der Grund, warum sich Menschen mit verschiedenen Geschmäcken auch nicht als gleichwertig akzeptieren können und Freunde ihre Freundschaften riskieren: Die Idee verschiedener Wahrheiten, die nebeneinander koexistieren ist in sich widersprüchlich.
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