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Leben im Abriss
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Man stelle sich ein Land vor, in dem man einfach in eine Wohnung einziehen kann, ohne Mietvertrag, ohne Strom oder Wasser zu bezahlen. Das einzige, was man nicht vergessen sollte, ist eine polizeiliche Anmeldung. Das ist oft reine Formsache, die neue Adresse wird in den Personalausweis eingetragen, nach einem Mietvertrag fragt niemand. Danach kann man unbehelligt ein paar Monate oder Jahre in der kostenlosen (und nicht selten baupolizeilich gesperrten) Wohnung leben, bis. alle Nachbarn nach und nach ausziehen, das Dach undicht wird, die Energieversorgung den Strom abschaltet oder ein Abrissbagger anrollt.So etwas war möglich in der DDR, und keineswegs nur in seltenen Einzelfällen. Vor allem die maroden Altstädte boten günstige Voraussetzungen für die eigenmächtige Wohnungsnahme.Normalerweise wurden alle Wohnungen in der DDR "zugewiesen". Aber für ledige kinderlose junge Menschen war es nahezu unmöglich, eine staatliche Wohnungszuweisung zu bekommen, es sei denn, man zog "schwarz" ein - was still und leise geschah und nur sehr wenig mit dem zu tun hatte, was in der alten Bundesrepublik "Hausbesetzung" hieß.Pflicht, unter Umgehung des staatlichen Vergabe-Monopols.Halle gehörte zu den Städten, wo sich bereits relativ früh, Ende der 1960er Jahre, erste Schwarzwohner in den zum Abriss vorgesehenen Vierteln der Innenstadt (z.B. Spitze, Fleischerstraße, Brunos Warte) nachweisen lassen. Das Leben im Abriss soll als Grauzone beschrieben werden, wo Freiräume und deprimierende Alltagserfahrung am Rand der Gesellschaft ein ambivalentes Lebensgefühl erzeugten, aber auch das Erproben selbst bestimmter Lebensformen ermöglichten. Angestrebt wird eine kleine Kultur- und Alltagsgeschichte des Schwarzwohner-Milieus in Halle, die wissenschaftlich fundiert aber populär verfasst ist. Im Mittelpunkt stehen die Geschichten und Erlebnisse Einzelner, deren Erinnerungen durch Fotos und Dokumente illustriert werden. Die zumeist jungen Schwarzwohner waren auf der Flucht vor dem kleinbürgerlichen Milieu der Eltern und sahen sich nun mit einem ganz anderen Milieu konfrontiert. Nicht nur, dass die Lebensverhältnisse oft nahezu unerträglich waren in Wohnungen ohne Wasser, mit Außenklo und undichten Dächern, es kam auch zur Konfrontation mit einer sozialen Schicht, die manchmal als "asoziales Milieu" bezeichnet wird, mit alten und kranken Menschen, Alkoholikern und Sonderlingen. Archivrecherchen und ein Dutzend Interviews in Halle förderten eine ganze Reihe erstaunlicher, bemerkenswerter Begebenheiten zutage, die unterhaltsam und aufschlussreich zugleich sind.Zudem werden, vor allem anhand von Akten der Abteilung Wohnungspolitik des Stadtbezirkes Halle-West, die Aushandlungen zwischen erwischten Schwarzwohnern und den Wohnungsbehörden beschrieben, und es wird nach Erklärungen dafür gesucht, wieso manche Schwarzbezüge mit der Räumung endeten, andere mit einem Happy end.Der Zeitraum der im Buch geschilderten Episoden erstreckt sich von 1967 bis 1990Das Buch wurde gefördert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
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